: Duchamp KuenstlerTheorie / Lektuere /
Die Macht des Publikums ueber die Kunstwerke ist das Movens fuer Duchamps
kuenstlertheoretische Reflexionen. Duchamp zufolge machen die Betrachter
die Bilder. Sie koennen die Kunstwerke goutieren, tradieren oder verwerfen.
Damit bestimmen Sie, was mit dem geschieht, was Ihnen praesentiert wird
und ihre Nachfrage bestimmt die Richtung in die sich der Kunstmarkt orientiert.
Durch das Anschauen wollen und koennen wird auf den Kuenstler ein Produktionsdruck
ausgeuebt, denn er ringt mehr oder minder um seiner kuenstlerische Anerkennung.
Duchamp versucht sich dieser Zwangssituation zu entziehen, auf die Beobachterseite
zu wechseln, indem er eine Konzeption entwickelt, die sich mit dem Betrachter
befasst. Intendiert ist dabei, sowohl von Interesse fuer die Betrachtung
zu bleiben, sie in Gang zu halten, als auch die zur Betrachtung Verfuehrten
um ihre Deutungen zu betruegen.
Die zentrale kuenstlertheoretische Figur im Dreiecks-Verhaeltnis von: Kunst
- Kuenstler -Betrachter, ist die des regardeurs. Regardeur koennte man
mit unbeteiligt beteiligten Blicker uebersetzen. Er ist fuer Duchamp immer
schon im Werk, ohne das der Kuenstler ihn sehen kann. Mit Lacan laesst
sich dies ueber die Antinomie zwischen dem Blick auf (seiten der Dinge)
und dem Sehen (des Auges des Subjekts) beschreiben: So kann man nicht sehen,
dass die Dinge einen angehen/ anblicken (franz. regarder). Ebenso ist eine
Selbstspiegelung im Bild unmoeglich, weil man weder den eigenen Blick noch
sich sich sehen sehen kann. Der Blick als Objekt funktioniert eher wie
ein Fleck. Duchamp laesst diese Antinomie zusammenschnellen und personifiziert
dieses unbestimmbare Objekt Blick im regardeur, der sozusagen im Bild ist,
und den Kuenstler angeht/ anblickt - und damit die Bilder aus-macht. Duchamp
versucht aus der regardeur-Beziehung herauszutreten, sie zu beobachten
und in eine kuenstlerische Konzeption einzubinden, um sich selbst zu ermaechtigen,
das Machtspiel um Kunst und sein Kuenstlersein zu gewinnen.
Um seine Einzigartigkeit und Eigenheit als Kuenstler zu betonen, waehlt
Duchamp fuer sich die Bezeichnung an-artist. Mit dieser kuenstlertheoretischen
Figur, versucht er sich als der Eine/Einzige oder Einzelne gegenueber den
anderen Kuenstlern zu behaupten, sich ausserhalb von Stilgemeinschaften,
Nachfolge und kunstgeschichtlich etablierten Kunstrichtungen zu stellen
- ohne eine Antiposition einzunehmen. Damit verbunden ist die Vorstellung
vom Kuenstler als egoistisches Medium. Mit dieser paradoxen Beschreibung
laesst sich zum einen die Unverantwortlichkeit des Kuenstler fuer sein
Tun herausstellen, er uebermittelt als Medium lediglich Ideen und zum anderen
das Interesse daran, dass das was das Medium mit seinen Taten ausloest,
nur ihm zugeschrieben wird, da die Ideen nur durch seine Individualitaet
so vorhanden sind. In diesem Licht sind auch die Ready-mades als Privateigentum
und individuelle Geste Duchamps zu sehen. Sie sind unaufloeslich an ihn
gekoppelt. Zumal er sie wie zu einem Rendez-vous trifft, bei dem der Kuenstler
den Zeitpunkt bestimmt und die Dinge ihn aussuchen.
Die konzeptionelle ready-made- Klammer lautet: "Es sind die regardeurs,
die die Bilder machen"/ "Kann man Werke machen, die keine
Kunst sind?". Die ready-mades sollten damit zunaechst, ausserhalb
dessen stehen, was als Kunst betrachtet worden ist. Sie dienen weder dem
Skandal, noch sind sie ein objet trouvé. Sie entstehen als Kunst nicht
erst durch ihre Musealisierung, sondern sie sind das Werk, dessen Eintritt
in den Kunstkontext allein dem Kuenstler vorbehalten bleibt. Vorallem als Erzaehlung halten sie die Neugier der Betrachter in Gang, die Objekte brauchen um Bilder zu machen, sie zu Kunst aufzuladen. Die Argumentationsweise Duchamps zeigt immer wieder, das es
ihm um die Einfuehrung von Begriffsbildung in die Bildende Kunst geht,
die die Gewichtigkeit der visuelle Wahrnehmung abloesen soll.
Aus der Abwehr des Retinalen (in der Malerei) wendet sich Duchamp dem narrativen
Moment der Anekdote zu, um mit diesem Prinzip zu theoretisieren. Auch dieser
Hinweis auf erzaehlerische Elemente in seiner Kunst koennte lediglich als
ein leicht aufzugreifendes Angebot an seine Interpreten aufgefasst werden,
damit der Aufladungsprozess seiner Werke weiter vorangetrieben wird. Dennoch
erfuellen die fragmentarischen Anekdoten durch ihre pointierte Schaerfe,
ihre veraenderliche Weitergabe und dem blitzartigen erhellen von Zusammenhaengen
genau jene Funktion Phantasien zum Dargestellten zu entwickeln. Diese Gedanken
stoeren die visuelle Annaeherung, in dem sie das Sprachliche, Begriffliche,
Poetische wachrufen.
Das poetische Vorgehen Duchamps dient dem Prozess der Bedeutungsaufladung
ohne die Konstituierung eines Sinns. Im Vertrauen auf die phonetische wie
syntaktische Eigendynamik der Worte wird ein kuenstlerisches Spiel mit
der Sinn Zuschreibung/Entleerung betrieben, um den Bezug zum hingestellten
Objekt zu erweitern und zu unterminieren. Duchamps Verhaeltnis zur Sprache
basiert auf dem Vergnuegen an der moeglichen Weite eine sprachlichen Formulierung.
Eine kritische Sprachreflexion ist bei ihm nur als Abneigung gegen die
strukturierende Macht der Sprache ablesbar, denn er hegt die Vorstellung
von vorsprachlichen Gedanken und landet damit in Unmmittelbarkeitphantasien
jenseits der Abstraktion. Trotzdem spricht und theoretisiert Duchamp ausfuehrlich
und sensibel - sein Bezug zur Sprache ist erotisch.
Die kuenstlertheoretische Setzung des Erotismus zielt auf das "Begehren"
in der Kunst, intendiert ist den Genuss an der Kunst nicht zuzulassen und
die Lust bei der kuenstlerischen Produktion zu beenden. Erotik ist, Duchamp
zufolge, zwar ein liebenswertes Thema fuer sein Leben, jedoch genau das
Gegenteil davon ueber dieses aufklaerenden Anschluss zu finden, stellt
sich bei der weiteren Lektuere seines Theoretisierens heraus: Duchamp versucht
sich der Befriedigung zu entziehen. Weder sich noch anderen goennt er den
Kunstgenuss. So haelt er seine Produktion zurueck und erzeugt unentwegt
Defizite bei der Annaeherung an seine Kunst . Duchamp setzt den Erotismus
als theoretischen Leitbegriff, mit ihn moechte er in der Kunst aehnliches
erreichen, was Bataille als Transgression beschreibt. Doch anders als bei
Bataille, der sich mit dem Leben und dessen Ausloeschung auseinandersetzt
und Erotik und Genuss in der Ueberschreitung von Verboten findet, bezieht
Duchamp die Verbotsstruktur auf das Verhalten des Kuenstlers, dessen Onanie:
Ihm und den Rezipienten, moechte er den Weg zum Kunstgenuss abschneiden.
Sein alter Ego, die obzoen fabulierende Rrose Sélavy, ist ein Identifikationsobjekt
fuer den Betrachter, ueber dies kann mit ihr Spaltung des Kuenstlersubjekts
beschrieben werden. Mit ihr kann der kuenstlerische Narzissmus ueber ein
Spiel mit je & moi durchgespielt werden, den Duchamp bezogen auf sich
selbst nicht zulassen will. Um sich selbst vor dem gefaehrlichen Ernst
der Erotik, der Kunst, einer gefaehrdeten Kuenstlerpsyche zu schuetzen greift
Duchmap zum Humor.
Duchamps Humor zeigt sich kuenstlertheoretisch als Ironie der Indifferenz.
Mit diesem zentralen kuenstlertheoretischen Postulat unterstuetzt er den
Entzug seiner "Sachen", schuetzt sie durch den Humor, der
es erlaubt sich ueber sich selbst und andere in Selbstgenuegsamkeit zu
erheben. Synonym dazu steht der Begriff der Bejahungsironie. Die Luecke
zwischen "Ja" und "Ja" zeigt das Feld In der Differenz auf, in dem Duchamp sich bewegt.
Es geht mithin nicht um ironische Negation, sondern um die Moeglichkeit,
das etwas Gueltigkeit beanspruchenkann, was nicht zu bestehenden Kunstsystem gehoert.
Die Bejahungsironie ist mit dem Humorbegriff Freuds verwandt, wenn sich mit
letzterem Unlusterspart wird, so kann Duchamp mit seiner Strategie die Absolutheit von
Setzungen vermeiden.
mettre en boîte: Duchamp behauptet das alles Wichtige,was er getan haette,
in einen kleinen Koffer gepackt werden koenne. Er produziert die Boîte
en valise. In ihr als Multiple, sind aufwendig gefertigte Minaturen seiner
Werke, sozusagen musaelisiert, reliquienaehnlich zu betrachten. Mit dieser
Schachtel im Koffer, diesem In-die-Schachtel-setzen, sagt Duchamp sprichtwoertlich
etwas zum Betrachter, mettre en boîte, ist ein franzoesisches Sprichwort
und bedeutet soviel wie jemanden auf den Arm nehmen, und das ist hier sicherlich
nicht nur selbstreflexiv gemeint.
© Dr. Ana Dimke / 2001 ...
Duchamps_KuenstlerTheorie ist im Dezember 2001 erschienen und lieferbar ...
KuenstlerTheorie in bezug auf Marcel Duchamp ... www.Duchamp.KuenstlerTheorie.de
... KuenstlerTheorie in bezug auf: AA Bronson, Felix Partz, Jorge Zontal: www.General-Idea.KuenstlerTheorie.de
... lieferbare Titel der Scrollheim~KunstForschung: Buchbestellungen + Anfragen / Print ISSN: 0939 - 9224 ...
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